Hochschule Düsseldorf
University of Applied Sciences
Fachbereiche Architektur & Design
Peter Behrens School of Arts

Aktuelles

Peter Behrens School of Arts / Typografie, Interview
18.06.2024

4 Fragen an...

​​​​​​Lieber Prof. Victor Malsy, nach 24 Jahren im Fachbereich Design ist dies nun Dein letztes Semester, bevor Du in Deinen wohl verdienten (Un)ruhestand gehst. Dein Werdegang ist so spannend, wie die Geschichten, die Du dazu erzählen kannst. Warum bist Du Typograf geworden?


nach meinen ausbildungen zum bauzeichner (offenbach am main) & krankenpfleger (langen) und meinem 16-monatigen zivildienst in einer sonderkindertagesstätte (langen) in hessen zog es mich 1980 nach bremen, in die fremde. ich arbeitete als krankenpfleger auf stationen der inneren medizin und der orthopädie bevor ich 1981 die fachoberschule bremen besuchte und über den zweiten bildungsweg meine fachhochschulreife nachholte. 1982 – mit 25 jahren – begann ich ein grafikdesign-studium an der hochschule für künste bremen. es war ein alter jugendwunsch von mir, grafiker zu werden, einen künstlerisch-gestalterischen beruf auszuüben (warum ich diesen, für mich nur scheinbaren umweg über bauzeichner & krankenpfleger gegangen bin, ist eine andere geschichte).

im studium lernte ich das lehrgebiet typografie bei eckhard jung kennen. mit seinem lehrkonzept und seinen initiierten studienprojekten wie dem dreieckigen picasso-buch „was glauben sie denn ist picasso?“ und der nicaragua-ausstellung „no pasaran“ weckte er in mir das interesse für buchstaben und die typografische gestaltung. in der druckerei der hochschule lernte ich die satzherstellung an einer CRTronic von linotype. mein erstes konzipiertes, gestaltetes, gesetztes und realisiertes buch „eckbert carge, eulengeschrei. gedichte“  – von der stiftung buchkunst zu einem der schönsten bücher des jahrgangs 1984 gewählt – machte mir mut, den typografischen weg weiter zu gehen. während meines studiums lernte ich gestalterinnen & gestalter wie hans-rudolf lutz, wim crouwel, helmut schmidt rhen, helmut schmid, wolfgang weingart, josef müller-brockmann, roman clemens, lucia moholy, rosemarie tissi und rolf müller persönlich kennen. die gespräche & begegnungen mit diesen menschen haben tiefen spuren bei mir hinterlassen.​

eckhard jung und der typografie verdanke ich einen neuen zugang zur deutschen sprache. ich komme aus froschhausen, einem kleinen hessischen dorf in der nähe von offenbach am main. der hessische dialekt hat meine sprache und mein sprechen viele jahre bestimmt. unter wortgewandten architekten und ingenieuren in der grossstadt, während meiner bauzeichnerlehre 1973–1975, entwickelte ich ein gebrochenes verhältnis zur deutschen sprache. bücher habe ich in dieser zeit keine gelesen. der deutschunterricht in der volksschule war mir ein grauen. er verleitete mir das bücherlesen. meinen dialekt empfand ich in jenen jahren als sprachbehinderung, der mich ausgrenzte. in den typografischen lehrveranstaltungen zehn jahre später lernte ich die HfG ulm, otl aicher und die kleinschreibung kennen. ich entdeckte, dass auch die herren am bauhaus die kleinschreibung propagierten. auf dieses abenteuer wollte ich mich einlassen und begann alles klein zu schreiben. bei diesem anfänglichen spiel – jeder der es mal versucht hat weiss darum – bei diesem spiel ist aufmerksamkeit & ausdauer gefragt. immer wieder schleichen sich, der gewohnheit folgend, versalien in den text ein. diese konzentration auf das bewusste kleinschreiben führte mich zum bewussteren lesen & schreiben. ich nahm die buchstaben beim wort. ich fügte meiner sprachbehinderung eine schreibbehinderung zu und erlernte so die deutsche sprache ein zweites mal. minus mal minus gleich plus. was meinen deutschlehrern in der volksschule nicht gelang, schaffte die typografie. mit der liebe zu den buchstaben erwachte in mir auch die liebe zur sprache und literatur. heute stehen 7000 bücher in meinen regalen (siehe die antworten auf die fragen 3 & 4).
 

Dein Lehr- und Forschungsschwerpunkt liegt auf der Geschichte der Gestaltung und der Gestalter. Gibt es ein Projekt, dass Dir in Deiner Lehrzeit besonders in Erinnerung geblieben ist?​


oh, da gibt es nicht nur ein projekt, da muss ich mehrere seminar-, diplom- und bachelorarbeiten nennen. meine beschäftigung mit der und meine leidenschaft für die geschichte unserer profession, der typografie & des grafikdesign, ist bei einigen studierenden auf fruchtbaren boden gefallen.
# „D-sign“ mit wilfried korfmacher und philipp teufel (2003) # „helmut schmid: gestaltung ist haltung“ mit philipp teufel & fjodor gejko (2006) # „we all ride kangaroos to work. australische designer im gespräch“ von marika molter (2006) # „exploring brazil's visual culture“ von andreas conradi (2008) # „helvetica forever. geschichte einer schrift“ mit lars müller (2008) # „die buchreihe A5 zur grafikdesign-geschichte“ von jens müller (2008) # „signing tehran. design report iran“ von wahideh abdolvahab (2008) # „filmkunstgrafik“ von jens müller & karen weiland (2009) # „stefan kanchev“ von magdalina stancheva (2009) # „skan grafik. design report skandinavien“ von andré konrad (2010) # „lindo quilombo. design report buenos aires“ von sara-lena göbel & daniel bolay (2010) # „rotulos. eine odyssee entlang mexikanischer ladenbeschriftungen“ von philip lammert (2011) # „18 jahre lux-lesebogen“ von michael schekalla ((2012) # „plan act win. fragen an harry walter“ von jana polgart (2012) # „hans karl rodenkirchen. eine grafische reise ins bergische land“ von tim sluiters (2012) # „troost-alben. eine publikation über die archiv-alben der düsseldorfer werbeagentur troost 1953–1971“ von adrian meseck (2013) # „ideenstadt düsseldorf. design und werbung aus düsseldorf 1900–2013“ mit jens müller (2014) # „die galerie im setzkasten. der sammler arno stolz“ von david fischbach (2014) # „there is no such thing as irish design. design report irland“ von benjamin messingschlager (2016) # „die marke thonet – ein blick auf ihre grafische geschichte“ von lilo schäfer (2017) # „klaus-peter dienst. kalligrammatische typografie und poetische textbilder“ mit holger jacobs und anika kunst (2019) # „sichten. hans ostendorf“ von fabian weins mit daniel seemayer (2023) # „das streben nach besserem führt manchmal zu außergewöhnlichem. wie eine druckerei im allgäu die buchherstellung maßgeblich prägte“ von anna lena gangluff mit hilde gahlen (2023) # „das plakat isst eine fläche“ mit uwe j. reinhardt & eric fritsch (2024) und jetzt habe ich zahlreiche projekte nicht genannt …


Welche Bücher kannst Du uns empfehlen?

A
# otl aicher: innenseiten des kriegs. s. fischer verlag, 1985 # friedrich achleitner: quadratroman. luchterhand verlag, 1973 # etel adnan: sturm ohne wind – gedichte prosa essays gespräche. edition nautilus, 2019 # theodor w. adorno: noten zur literatur. suhrkamp verlag, 1981 # ilse aichinger: schlechte wörter.  s. fischer verlag, 1977 # friedrich albrecht: akt benedikt knittel und das kloster schöntal als literarisches denkmal. deutsche schillergesellschaft marbach, 1989 # peter altenberg: extrakte des lebens. gesammelte skizzen 1898–1919. löcker verlag, 1987 # jean amery: hand an sich legen. diskurs über den freitod. klett-cotta verlag, 1979 # günter anders: lieben gestern. notizen zur geschichte des fühlens. verlag c.h. beck, 1986 # günter anders: die atomare drohung. radikale überlegungen zum atomaren zeitalter. verlag c.h. beck, 2003 # guillaume apollinaire: alkohol. gedichte. luchterhand verlag, 1980 # h.c. artmann: im schatten der burenwurst. skizzen aus wien. residenz verlag, 1983 # h.c. artmann: nachrichten aus nord und süd. residenz verlag, 1978 # machado de assis: die nachträglichen memoiren des bras cubas. manesse verlag, 1950 # jan assmann: religion und kulturelles gedächtnis. zehn studien. verlag c.h. beck, 2000 # marc augé: tagebuch eines obdachlosen. ethnofiktion. verlag c.h. beck, 2012 # rose ausländer: aschensommer. ausgewählte gedichte. deutscher taschenbuch verlag, 1978 # paul auster: die geschichte meiner schreibmaschine. rowohlt verlag, 2005 # …

B
# ingeborg bachmann: die gestundete zeit. anrufung des grossen bären. gedichte. piper verlag, 1984 # dirk baecker: vom nutzen ungelöster probleme. merve verlag, 2003 # roland barthes: das reich der zeichen. suhrkamp verlag, 2005 # peter bichsel: eigentlich möchte frau blum den milchmann kennenlernen. 21 geschichten. bibliothek suhrkamp 1125, suhrkamp verlag, 1997 # peter bichsel: schulmeistereien. luchterhand verlag, 1985 # georges bataille: das obszöne werk. rowohlt verlag, 1988 # gregory bateson: geist und natur – eine notwendige einheit. suhrkamp verlag, 2005 # konrad bayer: das gesamtwerk. rowohlt verlag, 1977 # jurek becker: jakob der lügner. suhrkamp verlag, 2004 # samuel beckett: mehr prügel als flügel. suhrkamp verlag, 1989 # samuel beckett: erzählungen und texte um nichts. suhrkamp verlag, 1997 # samuel beckett: schlecht gesehen schlecht gesagt. suhrkamp verlag, 1983 # samuel beckett: echos knochen. suhrkamp verlag, 2019 # walter benjamin: einbahnstrasse. suhrkamp verlag, 2001 # walter benjamin: berliner kindheit um neunzehnhundert. suhrkamp verlag, 1987 # gottfried benn: gesamelte werke. zweitausendeins, 2003 # john berger: sehen. das bild der welt in der bilderwelt. rowohlt verlag, 1984 # thomas bernhard: holzfällen. eine erregung. suhrkamp verlag, 1984 # ernst bloch: das prinzip hoffnung. suhrkamp verlag, 1982 # philipp blom: der taumelnde kontinent. europa 1900–1914. hanser verlag, 2009 # jorge luis borges: das sandbuch. erzählungen. hanser verlag, 1977 # john gregory bourke: das buch des unrats. die andere bibliothek, 1992 # bertolt brecht: geschichten vom herrn keuner. suhrkamp verlag, 1980 # rolf dieter brinkmann: rom, blicke. rowohlt verlag, 1997 # peter bruke: papier und marktgeschrei. die geburt der wissensgesellschaft. wagenbach verlag, 2001 # michel butor: die wörter in der malerei. suhrkamp verlag, 1992 # …

C
# john cage: silence. suhrkamp verlag, 1992. # … fortsetzung folgt.
 
 

Mal was Persönliches, was hast Du nach dem Ende des Semesters vor?

montags: lesen, jonglieren, schlafen.
dienstags: lesen, gestalten, schlafen. 
mittwochs: lesen, jonglieren, schlafen. 
donnerstags: lesen, sortieren, schlafen. 
freitags: lesen, aufräumen, schlafen. 
samstags: lesen, jonglieren, schlafen. 
sonntags: nachdenken, gehen, träumen .… und immer mal wieder gut essen & trinken.

Victor Malsy