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HSD - Peter Behrens School of Arts > Der Mensch als treibende Kraft
Peter Behrens School of Arts / Interview, Retail Design
08.07.2025

Der Mensch als treibende Kraft

​​Wie sehen die Innenstädte der Zukunft aus? stores+shops sprach mit Sabine Krieg, Professorin und Retail-Design-Expertin an der Peter Behrens School of Arts der Hochschule Düsseldorf, über „Socio Retailing“, neue Perspektiven auf die Innenstadt und das Zusammenspiel von Stadtplanung, Handel und Gesellschaft.

Frau Professorin Krieg, womit beschäftigt sich der Forschungsbereich Retail Design an der Hochschule Düsseldorf?

Ein Schwerpunkt unserer Forschung liegt auf der Stadt und ihrer Veränderung. Wir denken Retail nicht nur als klassischen Einzelhandel, sondern im Kontext der Urbanität. Das unterscheidet uns auch von anderen Hochschulen – etwa von Mailand, wo Möbeldesign im Fokus steht, oder von Oslo mit stärkerem Bezug zur Mode. Unser Ziel ist es, Retail als Teil des öffentlichen Lebensraums zu begreifen, also Innenstädte als Orte der Vielfalt und der sozialen Interaktion. 

Wie sehen Ihre Studierenden die Zukunft von Retail? Wie nehmen Ihre Studierenden diese Herausforderungen auf? 

Zunächst einmal: Unsere Studierenden sehen eine Zukunft in der Stadt und betrachten aktuelle Herausforderungen wie den Leerstand oft weniger kritisch. Sie begegnen den Entwicklungen im Retail mit bemerkenswerter Offenheit, Mut und Haltung. Viele hinterfragen starre Formate und denken Räume neu – ob es sich dabei um geschlechtergerechte Parkhäuser, genderneutrale Textilien oder universal nutzbare
urbane Räume handelt. Dabei geht es ihnen nicht um Marketingtrends, sondern um authentische Veränderungen. Was sie kritisieren: Das, was Marken in digitalen Medien als fortschrittlich bewerben – etwa Nachhaltigkeit oder Diversität – ist im analogen Raum oft nicht spürbar.

Demnach scheint die Digitalisierung also ein Spannungsfeld für viele zu sein?

Ja, sie ist ein starker Treiber, aber gleichzeitig auch eine Herausforderung. Junge Menschen werden oft zu Unrecht als rein digital denkend dargestellt. Viele wünschen sich echte, analoge Erfahrungen – in der Lehre, im Austausch und auch beim Shopping. Die Digitalisierung durchdringt unser Leben so stark, dass viele den analogen Raum wieder als Ort der echten Begegnung und Teilhabe schätzen – genau das fehlt vielen Innenstädten heute.​

Worin bestehen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für unsere Städte und wie kann der Einzelhandel zur Identitätsbildung einer Innenstadt beitragen?

Wir erleben derzeit eine nie dagewesene städtische Verdichtung, gleichzeitig aber auch Leerstände und uniforme Handelsflächen. Die Stadt verliert dabei an Individualität. Innenstädte werden häufig von kapitalstarken Ketten dominiert, was zwar Kaufkraft bringt, aber Vielfalt und lokale Besonderheiten
verdrängt. Es geht nicht darum, diese Ketten zu verdrängen, sondern die Innenstadt um originelle oder regionale Formate und partizipative Konzepte zu ergänzen – Zusatz statt Ersatz.

Wie können wir dazu beitragen, zukunftsfähige Konzepte für die Innenstadt zu entwickeln?

Indem wir die Stadt vom Menschen aus denken, nicht vom Produkt, vom Auto als Zubringer oder von der Architektur. Menschen sind soziale Wesen, sie brauchen Orte der Interaktion. Das bedeutet auch: neue Lichtkonstellationen, neue Mobilitätswege, sichere Räume – auch nachts, generationsübergreifende Angebote, Orte zum Verweilen. Ich nenne das „Socio Retailing“: Sozialräume schaffen, in denen nicht primär
Konsum, sondern das Miteinander im Mittelpunkt steht. Die digitale Welt kann das nicht leisten – das muss die analoge Stadt zurückgewinnen. Es geht folglich auch darum, Antworten auf aktuelle Herausforderungen wie steigende Mietpreise zu finden, zum Beispiel, indem man Subventionslösungen für originelle Formate diskutiert.

Wer sollte sich an dieser Neuausrichtung beteiligen?

Alle. Der Handel allein kann das nicht stemmen. Es braucht ein kollektives Umdenken: Stadtverwaltungen, Wirtschaftsförderung, Kulturämter, soziale Einrichtungen und natürlich die Bürgerinnen und Bürger. Der Wettbewerb in Leverkusen rund um den Bahnhofsbereich ist ein gutes Beispiel für eine solche interdisziplinäre Herangehensweise. Wenn man fragt, was die Stadt von morgen ausmacht, dann lässt
sich das nur gemeinsam beantworten.

Wie können sich Händler konkret beteiligen?

Indem sie sich fragen: In welcher Stadt bin ich? Wer sind die Konsument:innen? Wie kann ich Communitys bilden, Kooperationen mit Kultur, Kunst und Gastronomie eingehen? Es braucht Mut zur Vernetzung. Kein Händler muss alles selbst können – es ist legitim, sich junge kreative Menschen zur Seite zu holen, die neue Perspektiven einbringen. Oft geht das auch ohne riesige Budgets. Es reicht manchmal ein Gespräch mit dem Barista um die Ecke oder ein gemeinsames Projekt mit einer lokalen Hochschule.

Sie sprechen von neuen Stadtmodellen. Was bedeutet das konkret?

Zum Beispiel die Idee der ,Fünfzehn-Minuten-Stadt‘ – ein Konzept, das kurze Wege, generationsübergreifende Angebote und nachhaltige Mobilität vereint. Oder Micro Hubs: Stadtviertel mit eigenem Profil, zugeschnitten auf die konkreten Bedürfnisse vor Ort. Diese Hubs können voneinander
lernen, Synergien schaffen und kleinteilige Strukturen stärken. Es geht darum, Vielfalt in der Stadt nicht als Ausnahme, sondern als Standard zu begreifen.

Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Innenstädte?

Dass wir aufhören, isoliert zu denken. Dass wir Handel, Wohnen, Kultur, soziale Teilhabe und Mobilität zusammendenken. Dass wir Vielfalt fördern, statt Gleichförmigkeit zu verwalten. Und dass wir jungen Menschen zuhören, sie ernst nehmen und in die Gestaltung einbinden. Es geht nicht um Ersatz, sondern um Ergänzung. Nicht um schneller, sondern um menschlicher. Die Stadt von morgen entsteht nicht nur durch Masterpläne – sie entsteht im Zusammenspiel aller.

​Sabine Krieg ist seit Oktober 2023 Professorin für Retail Design an der Peter Behrens School of Arts an der Hochschule Düsseldorf und hat im September 2024 das Amt der Dekanin des Fachbereichs Design übernommen. In ihrer Forschung und Lehre beschäftigt sie sich mit der Zukunft des urbanen Raums als Ort sozialer Interaktion und identitätsstiftender Erfahrung – mit dem Einzelhandel als zentralem Akteur. Unter dem von ihr geprägten Begriff „Socio Retailing“ denkt sie den stationären Handel neu: als Labor für soziale Begegnung und kreative Beteiligung. Dabei verbindet sie immersive Technologien, gestalterische Praxis und gesellschaftliche Fragestellungen zu einem interdisziplinären Ansatz. Nebenbei berät sie verschiedene Retailer und Immobiliengesellschaften und beteiligt sich als City-Beirätin sowie als Opernscout an verschiedenen kulturellen Diskursen über die Stadt von morgen.



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